Presseberichte

Mit der Energie, die in uns steckt

[Rundschau Süd, Nr.44, 4.November 2021]

«Spare in der Zeit, so hast du in der Not»: Entsprechend diesem Sprichwort versteht sich die Genossenschaft KISS als vierte, geldfreie Vorsorge.

CARMEN FREI

Die «Fondation KISS» ist schweizweit organisiert. Mit sechs von aktuell siebzehn regionalen Genossenschaften ist sie im Aargau besonders präsent. «KISS» steht in diesem Fall für «keep it small and simple». Will heissen, dass sich eine überschaubare Gruppe von vertrauten Menschen untereinander und auf unbürokratische Art unterstützt. Wer gibt, wird mit einer Zeitgutschrift belohnt. Wer Hilfe beansprucht, bezieht angesparte Zeit. Einzige Bedingung und zugleich Knackpunkt: die Verpflichtung zur Mitgliedschaft bei der Genossenschaft. «Verpflichtung und Freiwilligenarbeit beissen sich auf den ersten Blick. Dafür habe ich grundsätzlich Verständnis», sagt Margrit Wahrstätter. Die 67-Jährige ist Präsidentin der Genossenschaft KISS Region Baden. Zusammen mit Rosmarie Meier, Koordinatorin und Aktuarin von KISS Region Baden, kommt sie denn auch keinen Moment in Verlegenheit, der gewohnten Skepsis gegenüber diesem System von Freiwilligenarbeit mit Zeitnachweis zu begegnen.

MargritWahrstatterundRosmarieMeier

Margrit Wahrstätter und Rosmarie Meier: «KISS ermöglicht Menschen, Hilfe anzunehmen, da niemand Bittsteller ist» BILD: CARMEN FREI

Schweizweit gültig 

«Eigentlich ist es ganz einfach», findet die 71-jährige Rosmarie Meier: «Wir verschenken Zeit. Und zwar dann, wenn wir sie haben.» Zeitgeschenke lassen sich beispielsweise machen mit kleinen Reparaturen im Haushalt, dem Ausführen des Hundes, Be- oder Entsorgungen, Aufgabenhilfe oder gemeinsamen Gedächtnisspielen. Die dafür investierte Zeit wird dem eigenen KISS-Konto gutgeschrieben. Bei Bedarf kann selber Hilfe angefordert werden. Margrit Wahrstätter: «Gerade für Menschen, die Mühe haben, um Hilfe zu bitten, ist dieses System von Geben und Nehmen eine Erleichterung.» Rosmarie Meier ergänzt: «Als Mitglied kann ich Unterstützung auch dann anmelden, wenn ich selber noch nichts geben konnte. Weil wir schweizweit vernetzt sind, könnte ich ins Glarnerland zügeln und dort mein angespartes Guthaben beanspruchen. Ich kann es aber genauso einer anderen Person schenken oder dem Genossenschafts-Pool spenden.»

Generationenübergreifend 

Margrit Wahrstätter: «Viele Nachbarschaftshilfen versanden im Lauf der Zeit aufgrund von Personenwechseln oder des Spardrucks der mitfinanzierenden Gemeinde. KISS hingegen ist beständig aufgestellt.» Die Genossenschaft KISS Region Baden umfasst 19 politische Gemeinden, zählt 94 Mitglieder im Alter von 30 bis 96 Jahren. Davon sind vier Fünftel im Pensionsalter. «Wir merken, dass viele dieser Mitglieder gerne ihre Zeit zur Verfügung stellen. Das Helfen tut ihnen gut und beugt der eigenen Vereinsamung vor», so die Wettinger Einwohnerrätin weiter. «Auch bin ich davon überzeugt, dass diese niederschwellige Hilfe die Gesundheitskosten senken und somit die Gemeindefinanzen entlasten kann.» Obwohl die beiden Engagierten eine Konzentration auf den alternden Teil der Bevölkerung nicht verneinen, betonen sie, dass jüngere Menschen – etwa nach einem Unfall – ebenso von der gegenseitigen Unterstützung profitieren können. «Wir packen die Herausforderungen gemeinsam an, mit der Energie, die in uns steckt.»

Die Nähe zählt 

Die KISS-Frauen sehen die Genossenschaft keineswegs als Konkurrenz zu bestehenden Angeboten. «Es geht uns um lokale, ergänzende Dienstleistungen, die Menschen auf Augenhöhe miteinander verbinden.» Darum sind sie aktiv beim Erschliessen neuer, sinnvoller Partnerschaften. Es bestehen bereits Kooperationen mit Spitexen und Bibliotheken in der Region. Das bedeutet etwa, dass die Kundschaft einer Spitex mit Kollektivmitgliedschaft bei KISS Region Baden die Dienstleistungen ohne persönliche Mitgliedschaft beanspruchen kann. Rosmarie Meier erzählt: «So kam es zum Beispiel zu einem Kontakt mit einem Spitex-Kunden, der Hilfe beim Kochen brauchte. Ein KISS-Mitglied übernahm die Aufgabe. Der Kunde entdeckte durch diese Begleitung die Freude am Kochen, woraus sich bei ihm eine wahre Passion entwickelte.»

Rundschau Süd 4.November 2021.

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